Prävention und Aufklärung – SPD-Fraktion stellt Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus vor

Bild: Angelika Aschenbach

Die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag hat heute ein 15-Punkte-Papier vorgestellt, das beschreibt, mit welchen Maßnahmen Rassismus, Menschenfeindlichkeit und rechtsextremistisches Gedankengut in der Gesellschaft bekämpft werden können.

Die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Nancy Faeser, sagte bei der Vorstellung des Maßnahmenkatalogs in Wiesbaden, der rassistische Anschlag von Hanau habe deutlich gemacht, dass mehr Vorbeugung erforderlich sei, um die fortschreitende Verrohung von Teilen der Gesellschaft zu stoppen: „Der Rechtsextremismus ist zur größten Bedrohung für das friedliche Zusammenleben in unserem Land geworden. Aber niemand wird als Rechtsextremist geboren, Rassismus und Menschenfeindlichkeit sind keine biologischen Veranlagungen, sondern das Ergebnis von gesellschaftlicher Prägung. Deswegen ist es wichtig, möglichst früh mit einer Erziehung zu Mitmenschlichkeit, Toleranz und Gewaltlosigkeit zu beginnen und ein Umfeld zu schaffen, das die Verschiedenheit der Menschen akzeptiert und mögliche Konflikte auf der Basis von gegenseitigem Respekt angeht.“

Mehr Prävention in der Zukunft müsse einher gehen mit einer rückhaltlosen Aufklärung der rechtsextremistischen Gewalt- und Terrorakte der jüngsten Vergangenheit, so Nancy Faeser. Deswegen unterstütze ihre Fraktion auch die Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung des rassistischen Terroranschlags von Hanau. Faeser sagte: „Das unendliche Leid und die tiefe Trauer, die über Freunde und Familien der Opfer gekommen sind, werden noch vergrößert, weil so viele Begleitumstände der Tat bislang unklar geblieben sind – von dem nicht erreichbaren Notruf über einen möglicherweise verschlossenen Notausgang bis zur Einsatzorganisation der Polizei. Diese Unklarheit ist der Nährboden für Misstrauen in den Staat, für Zweifel an seinen Institutionen und für einen generellen Verlust des Vertrauens in die demokratische Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist es brandgefährlich, wenn der hessische Innenminister den Eindruck zulässt, er und die ihm unterstellten Behörden betrieben die Aufklärung des Hanauer Terroranschlags nicht mit der gebotenen Offenheit und Transparenz. Die Forderung der Opferfamilien nach einer unabhängigen Expertenkommission, die alle Vorgänge in der Tatnacht untersuchen soll, unterstützen wir deswegen nachdrücklich.“

Maßnahmen nach Hanau

Rechtsextremismus bedroht unser friedliches Zusammenleben. Sein Ziel ist die Zerstörung unserer freien, offenen und vielfältigen Gesellschaft. Fast 200 Menschen fielen deutschlandweit seit 1990 rechtsextremistisch motivierter Gewalt zum Opfer.   Hinzu kommen die beinahe täglichen Angriffe auf all jene, die in unseren Kommunen und unserer Zivilgesellschaft Verantwortung für unser Gemeinwesen übernehmen. Nicht erst seit dem Mord an Dr. Walter Lübcke und dem rassistischen Anschlag von Hanau, bei dem Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov starben, wissen wir, dass unserem Bundesland eine ganz besondere Bedeutung bei der Bekämpfung des rechten Terrors und seiner Ursachen zukommt. Der rassistische Anschlag von Hanau und die immer noch unklaren Umstände müssen lückenlos aufgeklärt werden, sowohl strafrechtlich als auch politisch. Parallel dazu brauchen wir aber langfristige, strukturelle Maßnahmen um Rechtsextremismus und Rassismus effektiv zu bekämpfen.

Vorschläge der SPD-Fraktion

  1. Demokratieerziehung bereits in den Kitas

Demokratieprozesse sind Alltagsprozesse, sie lassen sich am besten durch frühzeitiges, eigenes Erleben lernen. Neben dem Elternhaus sind gerade Kindertageseinrichtungen die entwicklungsbestimmende Umgebung für Kinder. Hier kann durch emotionale Zuwendung, gleichberechtigten Umgang und soziale Wertschätzung untereinander die Basis dafür gelegt werden, um autonom und in vielfältiger Weise an demokratischen Prozessen zu partizipieren und diese damit auch frühzeitig zu verinnerlichen. Diese Form der Demokratieerziehung wollen wir stärken.

  1. Politische Bildung stärken

Schulen müssen Orte der Wertevermittlung sein. Sie sollen zur umfassenden Bildung und Werteorientierung für ein antirassistisches und solidarisches Zusammenleben in unserer Gesellschaft beitragen. Curricula, Materialien, Ausstattung, Räumlichkeiten, die Ausbildung und Qualifizierung der Lehrkräfte und des Materials müssen auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Auch das Erlernen von demokratischen Prozessen, beispielsweise durch die Stärkung von Kinder- und Jugendbeteiligung und -mitbestimmung, muss im (Schul)-alltag stärker verankert werden. Vorhandene Ressentiments werden mittlerweile von rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Gruppen und Parteien immer vehementer aufgegriffen, verstärkt und gezielt geschürt. Dem müssen wir entgegenwirken, in dem wir Demokratiebildung und Medienkompetenz als fächerübergreifende Querschnittsthemen etablieren, damit Schülerinnen und Schüler lernen, Fake News von seriösen Nachrichten zu unterscheiden und Hass und Rassismus in den Sozialen Medien zu erkennen. Wichtig ist aus unserer Sicht zudem die Stärkung der Schulsozialarbeit. Aber auch außerschulisch muss die Möglichkeit, politische Bildung zu vermitteln, verbessert werden. Hier gilt es aus unserer Sicht vor allem, die Jugendverbände als Bildungsträger zu stärken.

  1. Anpassung der Sprache

Neben der Stärkung der politischen Bildung insgesamt sind wir alle – in der Politik, in den Medien und überall in der Gesellschaft – aufgerufen, auf unsere Sprache zu achten. Sie darf nicht ausgrenzen und diskriminieren. Wir alle haben die Aufgabe, uns hier zu sensibilisieren. Gerade die Politik muss aber als Vorbild vorangehen.

  1. Lehrstuhl gegen Rassismus einrichten

Die wissenschaftliche Forschung zum Thema Rassismus muss verbessert werden. Bislang existieren weder Lehrstühle noch Institute, die explizit Rassismusforschung betreiben. Eine systematische Analyse der historischen, gesellschaftlichen, institutionellen, politischen und kulturellen Bedingungen, insbesondere von Rassismus, ist von zentraler Bedeutung.

  1. Ein Antidiskriminierungsgesetz für Hessen /
    Dezentrale Antidiskriminierungsstellen einrichten

Ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz für Hessen kann jene gesetzlichen Lücken schließen, die die bestehenden Regelungen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht erfassen und ergänzt den Schutz vor nicht gerechtfertigter Diskriminierung der öffentlichen Verwaltung. Neben einer gesetzlichen Grundlage brauchen wir in Hessen Anlaufstellen, an die sich Opfer von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen wenden können.

  1. Demokratiebericht einführen

Die hessische Landesregierung soll künftig einen jährlichen Demokratiebericht nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalen vorlegen. Dieser soll die Lage der politischen Bildung im Land dokumentieren und damit aufzeigen, wo Probleme vorhanden sind und Nachbesserungsbedarf besteht.

  1. Zivilgesellschaftliche Beratungsstellen durch Verstetigung der finanziellen Mittel nachhaltig unterstützen / Landesdemokratiegesetz prüfen

In Hessen gibt es bereits viele Beratungsstellen, die sich auf unterschiedlichste Weise kompetent dem Kampf gegen den Rechtsextremismus verschrieben haben. Hier müssen wir anknüpfen. Die vielfältigen, bestehenden Projekte im Kampf gegen Rechtsextremismus müssen weiter in ausreichendem Maße gefördert werden. Wir brauchen eine Verstetigung der finanziellen Mittel, denn ihre Arbeit bleibt eine dauerhaft notwendige Aufgabe. Nur so können wir den Ausbau der Projekte ermöglichen und nicht nur den status quo erhalten. Die gesetzliche Grundlage dafür könnte mit einem Landesdemokratiefördergesetz geschaffen werden.

  1. Landesstiftung für Demokratie, Aufklärung und politische Bildung zur Erinnerung an Halit Yozgat, Enver Şimşek, Dr. Walter Lübcke, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov einführen

Die SPD-Landtagsfraktion hat zum Ende des Hessischen NSU-Untersuchungsausschusses einen runden Tisch mit Journalistinnen und Journalisten, NGOs und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einberufen, um das Thema Rechtsextremismus in Hessen zu diskutieren. Daraus ist ein wiederkehrendes Zusammentreffen der Expertinnen und Experten mit den verschiedensten Hintergründen entstanden, die auch aktuelle Vorkommnisse im Bereich Rechtsextremismus, diskutieren, Erfahrungen austauschen und daraus Schlüsse für mögliche Ansatzpunkte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft ziehen.

Eine Stiftung könnte diese Bündelung an Kompetenzen institutionalisieren. Zweck einer Landesstiftung für Demokratie, Aufklärung und politische Bildung sollte primär sein, das Gedenken an die Opfer rechtsextremer Gewalt zu wahren, politische Bildung zu organisieren und praktische Hilfe für Opfer von rechter Gewalt und ihre Familien zu gewährleisten. Ferner ist das Ziel, weitere Institutionen im Bereich Rechtsextremismus als Partner für gute Projekte einzubinden oder im Rahmen von Think Tanks spezifische Fragen zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, um die Kompetenzen der Stiftung langfristig weiter auszubauen.

  1. Kultur des Widerspruchs in Polizei-und Sicherheitsbehörden sowie der Justiz / Polizei und Justiz personell und sächlich besser ausstatten

Eine starke Justiz und starke Sicherheitsbehörden zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst sind. Deshalb brauchen wir – wie in der Gesellschaft insgesamt – auch in Polizei und Justiz eine gestärkte angewandte Kultur des Widerspruchs gegen Menschenfeindlichkeit.

Dafür soll in der Aus- und Weiterbildung der Justiz und den Sicherheitsbehörden die politische Bildung und explizit die Gefahr rechtsextremistischer Bestrebungen noch stärker thematisiert werden. Es braucht vor allem eine vertiefte Auseinandersetzung mit Wirkweisen von Diskriminierung, Rassismus und allen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.  Auch in der Ausbildung von Richtern und Staatsanwälten soll die besondere Herausforderung im Umgang mit politisch motivierter Hasskriminalität als fester und stetiger Bestandteil der Laufbahnentwicklung integriert werden. Gegen rechtsextreme Tendenzen in den Reihen von Sicherheitsbehörden und Justiz muss konsequent vorgegangen werden. Dies gilt insbesondere für die Ausbildung von Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärtern. Darüber hinaus sind Polizei und Justiz in einer Weise personell und sächlich auszustatten, die eine ordentliche und umfassende Strafverfolgung ermöglicht.

  1. Ein echter Polizeibeauftragter für Hessen

Der von den hessischen Regierungsfraktionen verabschiedete Gesetzentwurf für einen Polizei- und Bürgerbeauftragten geht aus unserer Sicht nicht weit genug. Neben der vorhandenen parlamentarischen Ansiedlung der Funktion braucht es die Möglichkeit, anonyme Eingaben an den Polizeibeauftragten zu richten. Gerade in den Polizeistrukturen kann es für Polizistinnen und Polizisten unglaublich wichtig sein, Informationen auch anonym weitergeben zu können, um nicht als „Nestbeschmutzer“ stigmatisiert zu werden. Mit Blick auf die rechtsextremen Vorkommnisse bei der hessischen Polizei in den letzten Jahren erscheint eine solche Handhabe notwendiger denn je. Es ist bedauerlich, dass die Regierungsfraktionen dies nicht erkannt haben.

Der von uns als SPD geforderte Polizeibeauftragte, bei dem auch anonyme Beschwerden aus den Reihen der Polizei bearbeitet werden können, hätte insofern einen größeren Beitrag dazu geleistet, der rechtsextremen Vorfälle innerhalb der Polizei d Herr zu werden.

  1. Aussteigerprogramme für Rechtsextreme weiter ausbauen

Aussteigerprogramme bieten Personen, die aus der Szene aussteigen wollen, aber auch Eltern oder Angehörigen Hilfe. Bestehende Programme müssen ausgebaut werden, um breitere Unterstützung bieten zu können.

  1. Handlungsempfehlungen der NSU-Untersuchungsausschusses konsequent umsetzen / Unabhängige Studie zur Überprüfung der Handlungsempfehlungen

Von Expertinnen und Experten wird immer wieder kritisiert, dass Handlungsempfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse auch in Hessen nicht konsequent umgesetzt wurden. Dies haben die Oppositionsfraktionen von SPD, Linken und Freien Demokraten zum Anlass genommen, eine umfangreiche Abfrage auf den Weg zu bringen, um den aktuellen Sachstand zu eruieren. Wir brauchen beim Thema NSU auch an dieser Stelle mehr Transparenz. Neben der Umsetzung der Handlungsempfehlungen müssen wir uns auch der Frage widmen, wie wirkkräftig die Maßnahmen sind und wo es vielleicht auch Nachbesserungsbedarf gibt. Dies kann aus unserer Sicht nur durch eine unabhängige Studie erfolgen, die sich mit dem aktuellen Sachstand beschäftigt. Denn die Information, dass Fortbildungen zum Thema Rechtsextremismus in den verschiedensten Bereichen angeboten werden, hilft erst einmal nicht weiter. Fortbildungen können nur dann zu einem Erfolg führen, wenn das Angebot auch von einem hohen Anteil der jeweiligen Mitarbeiterschaft in Anspruch genommen wird. Diese Frage muss geklärt werden. Ziel muss es sein, dass sich etwas in den Köpfen ändert und dies kann nur passieren, wenn man möglichst viele Menschen erreicht.

  1. Bessere Kontrolle des Verfassungsschutzes

Gerade in Zeiten von erstarkendem Extremismus geraten die Geheimdienste und ihre Arbeit immer mehr in den Fokus. Auch der Verfassungsschutz muss im Rahmen der parlamentarischen Arbeit vertraulich, aber dennoch umfassend kontrolliert werden können. Um diese umfassende Kontrolle sicherzustellen, ist die personelle Ausstattung der Geschäftsstelle der Parlamentarischen Kontrollkommission zu stärken. Die Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission sind aber auch darüber hinaus zu verbessern. Hierzu zählt u.a. auch die Möglichkeit der Teilnahme von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen an den Sitzungen.

  1. (Landes-)Versammlungsgesetz schaffen

Nach dem Vorbild der Länder Bayern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein sind landesrechtliche Regelungen für das Versammlungsrecht zu prüfen, die insbesondere auch bessere Handlungsmöglichkeiten schaffen, um rechtsextreme Versammlungen und Kundgebungen an Gedenktagen aus Anlass der nationalsozialistischen Gewalt- und Terrorherrschaft zu unterbinden.

  1. Waffenrecht konsequent anwenden – keine Waffen an Extremisten

Auf Bundesebene haben wir als SPD bereits mehrere Maßnahmen beschlossen und u.a. das nationale Waffenregister ausgebaut, neue Meldepflichten für Waffenhersteller und –handler eingeführt und zudem die Größe von Magazinen bei bestimmten Schusswaffen begrenzt, um deren Nutzung für Terroranschläge zu erschweren. Wir haben eine Regelüberprüfung von Waffenbesitzern durch den Verfassungsschutz beschlossen. Dabei muss sichergestellt werden, dass Extremisten keine Waffen besitzen dürfen. Zu prüfen sind darüber hinaus im Rahmen einer Bundesratsinitiative psychologische Gutachten als Grundvoraussetzung für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis, nicht nur bei Zweifeln an der persönlichen Eignung.

In den Ländern müssen die (Sicherheits-) behörden schärfer kontrollieren, etwa bei der Versagung und dem Entzug der Waffenbesitzkarte, aber auch durch mehr Kontrollen der Besitzer von Waffen. Die mangelnden Kontrollen von Waffenbesitzern bedrohen die fundamentale Sicherheit unserer Demokratie und bringen Sportschützen insgesamt in Misskredit. Wir müssen daher die Behörden vor Ort besser unterstützen, damit sie ihrer Aufgabe nachkommen können.